Land

Frauke Beeck schuf 2005 ein Werk mit dem Titel „Erdbeerquark“ sowie 2006 „Erdbeere“ und „Erdbeeren (Neon)“ – ein Motiv, drei Motiv-Variationen:
Mal sind die Früchte als Früchte ästhetisiert. Ihre intensive rote Farbe wird betont, ebenso der Kontrast zu den grünen Laubblättern und den Stielen. Die gelben Nüsschen werden grellgelb wiedergegeben. Den bunten Farben stehen die unbunten Beige, Schwarz und Weiß des Hintergrunds gegenüber.
Mal stehen die Menschen im Mittelpunkt, die sich die Erdbeeren einverleiben. Hier ist die Frucht etwas, das nährt, das also nicht nur schön aussieht. Wobei deren Farbigkeit zugleich links und rechts auf den Hintergrund abfärbt und so das Rot die Erdbeerquarkmahlzeit inmitten rahmt.
Und mal wird dargestellt, wie die Erdbeeren vom Produzenten zum Konsumenten kommen, nämlich vermittelt über einen erdbeerförmigen Verkaufsstand. Naturform wird Architekturform. Platziert ist der Stand am Straßenrand, eine Schnittstelle zwischen ländlichem und städtischem Raum.
In allen drei Fällen sind die Bilder Nachahmungen der Natur, von Erdbeeren, aber auch von Menschen, die Erdbeeren an- und abbauen, sie ernten und essen, ja die Erdbeeren zu Erdbeerbauten aufblasen, signalisierend: „Hier gibt es Erdbeeren!“. Die Bilder ahmen also nicht nur die Natur nach sondern auch die Kultur: Dazu gehört das Hegen und Pflegen von Flora und Fauna ebenso wie das Errichten von Verkaufsständen und das Erstellen von Gemälden. Dass Natur und Kultur einander wechselseitig bedingen, thematisiert die Künstlerin auch dann, wenn sie einen Schirm in den Rosenrabatten vor einer Backsteinwand wiedergibt („Schirm mit Rose“, 2007).
Wenn Beeck kulturelle Artefakte und Menschen zu Randerscheinungen in ihren Bildern macht und stattdessen die Natur hervorhebt, verlieren ihre Werke den Charakter von Genregemälden und Stillleben und gewinnen den Charakter von Landschaften, beispielsweise bei „Nachen“ von 2014. Der Mensch ist nur noch ein Kürzel, der Kahn nahezu nicht erkennbar, die Natur hingegen allgegenwärtig und allmächtig. „Die Toteninsel“ von Böcklin schildert Ähnliches, den Übergang vom Diesseits zum Jenseits, der in der Inschrift auf „Nachen“ folgendermaßen festgehalten ist: „Ein Nachen liegt auf dem Wasser / ein Mann steht drin, ein Blasser / und ewig währt das Jenseitsreich / flieg schnell fort, sonst kommt es gleich.“
Frei von jeder menschlichen Figur sind „Utas Wald“ und „Wald“ von 2009. Bei beiden geht es um eine romantische Waldeinsamkeit. Um den Schatten, den die Ansammlung von Bäumen wirft. Um das Licht, das sie durchlässt. Und um Blickachsen und Spiegelungen. Und es geht darum, wie Kultur und Natur zusammenwirken: um das Bilden und Nachbilden des Baumbestands nach den Ordnungen des Aufforstens und des Naturnachahmens. Die Bilder demonstrieren, dass die Natur nicht mehr puristisch vor den Augen ihrer heutigen Betrachterinnen und Betrachter liegt, sondern als von Menschenhand parzelliertes, modelliertes und inszeniertes Land.
Als eine Urszene, Landschaft als Landschaft zu erfahren, gilt Petrarcas Bericht seiner Besteigung des Mont Ventoux vor über 675 Jahren. Die Hirten, die davon erfuhren, rieten ihm ab. Für sie war das Land nützlich, auf dem ihre Tiere grasten. Die höchsten Höhen des Berges hingegen, wo nichts wuchs, galten ihnen als unnütz und unschön, als gefährliches Niemandsland. Petrarca war Dichter, nicht für Vieh verantwortlich, nur für sich. Neugierig auf die Aussicht und die Beschreibung derselben, las er bei Livius, dass Philipp, der Vater von Alexander dem Großen, der Neugier halber den Haimon bestieg. Petrarca stieg, Philipp nachahmend, am 26. April 1335 auf den 1912 Meter hohen Mont Ventoux. Diese Urszene, vor ein, zwei Generationen noch als eine solche enthusiastisch gefeiert, ist inzwischen etwas abgefeiert angesichts der Karawanen kraxelnder Treckingtouristen. 2010 erklomm ein 13-Jähriger den 8842 Meter hohen Mount Everest, 2012 eine 73-Jährige und 2013 ein 80-Jähriger. Sie begaben sich auf einen schmalen Grat, nicht von der Natur überwältigt zu werden, sondern sie zu bewältigen, um etwas Erhabenes zu erleben.
Die ästhetische Kategorie des Erhabenen hat seit der Romantik mal mehr, mal weniger Konjunktur, seit etwa vier Jahrzehnten wieder mehr, als die Postmodernen die Kategorie wiederentdeckten. Auch im Œuvre von Beeck gibt es Arbeiten, die erhaben wirken, beispielsweise „Blauer Wald“ von 2009, eine Hommage der Künstlerin an die Birken in ihrer Heimat im Norden Deutschlands, und besonders die „Bambus“-Bilder von 2010, zu denen sie ihre Besuche in China inspirierten. Kennzeichen dieser Darstellungen von Biotopen im Osten und Westen sind: Die Pflanzen stehen dicht an dicht. Sie scheinen nicht von Menschen für Menschen angepflanzt worden zu sein. Menschen fehlen entsprechend. Die Bilder überwältigen durch ihre großen Formate und ihr kräftiges Kolorit. Die Betrachterinnen und Betrachter stehen nahezu im Maßstab eins zu eins vor einem undurchdringlichen Dickicht teils giftig grüner oder feurig roter Farben. Diejenigen, die sich über die Bilder hinaus den Bildprozess vorstellen, wie Beeck ihre Gemälde durch Sprühen von Farben herstellt, mögen die Wälder nicht nur sehen, sondern auch in den sonoren Geräuschen der sprühenden Dosen ihr Rauschen hören.

Dr. Frank Laukötter 2015